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PHIL SHOENFELT
Interview with GLOBOPOLIS (D), 2000

Warum lebst du gerade in Prag?

Das erste Mal besuchte ich Prag als Tourist im Jahre 1991, nur für drei oder vier Tage und sofort verliebte ich mich in diese Stadt. Dann begann das Radio 1 meine CD zu spielen und ich bekam die Chance hier auf Tournee mit Tichá Dohoda zu gehen. Am letzten Tag meines Aufenthaltes traf ich mein jetziges Mädchen Jolana und entschied mich, nicht mehr nach London zurückzukehren. Ich lebte dort 10 Jahre, davor lebte ich in New York und ich hatte die Schnauze voll. Als ich nach Prag kam, spürte ich neue Energie in mir. Also blieb ich hier teilweise meiner Freundin wegen und teilweise weil ich diese Stadt liebe. Dazu fing in London die Livemusikszene, die dort eine starke Position hat, an zu sterben. Es war aber sehr inspirativ und es gefiel mir ein Teil dieser Szene zu sein. Ab dem Jahre 1996 lebe ich hier.

Wie siehst Du die tschechische Musikszene?

Ich denke, dass sie sehr interessant ist. Zu meinen Lieblingen gehören aber ältere Bands wie: The Plastic People Of Universe, DG 307, Uz jsme doma, Psí vojáci. Ich habe ein kleines Problem mit den neueren Bands. Ihr Klang ist zu sehr durch die Entwicklung in England oder Amerika beeinflusst. An den älteren Bands mag ich gerade diesen vollkommen originellen Sound, den man nirgends auf der ganzen Welt finden kann. Er ist sehr einheimisch, sehr originell. Er ruft in mir starke Gefühle hervor, sogar auch wenn ich die Texte nicht ganz verstehe. Es ist für mich interessanter solche Bands zu hören, als Bands, die versuchen wie Portishead oder Tricky zu klingen.

Was denkst du über das Geschehen in der Musikszene?

Trip hop war in letzten fünf, zehn Jahren sehr stark in England, während Tschechien von der westlichen Kultur überflutet wurde. Zwischen Ost und West verlief der Umtausch nicht in beide Richtungen und das ist unfair. Alles geht aus Amerika oder England in die Tschechische Republik, aber nicht umgekehrt. Es ist eine neue Art des kulturellen Imperialismus. Jüngere tschechische Bands gehen darin bisschen verloren, wenn sie versuchen den Sound ausländischer Bands zu erreichen. Ich mag Portishead, aber es ist der natürliche Sound Bristols, wo 30 oder 40 Jahre Schwarze und Weiße zusammen leben. Wenn es manche Bands in Tschechien versuchen nachzuahmen, bekommen sie nur sehr gelungene Kopien. Ich kenne Bands wie Liquid Harmony, es ist nicht uninteressant, aber viel interessanter ist, wenn tschechische und amerikanische Musiker sich bemühen etwas Gemeinsames zu machen, etwas aus der tschechischen Kultur in die Musik einzukomponieren. Darin sehe ich etwas optimistisches.

Wie lebt es sich einem Ausländer in Tschechien?

Die Mehrheit meiner Freunde sind Tschechen. Erste drei oder vier Jahre hatte ich hier keine englischen oder amerikanischen Freunde. Ich bin der Typ Engländers, der nicht in England leben kann. Ich fühlte mich dort nicht wohl. Vielleicht wie ein Tscheche, der in der Zeit des Kommunismus aufwuchs, der viele schlimme Erinnerungen hatte und wollte so ein Land verlassen. Das selbe empfinde ich für England. Ich sehe England nicht als das Paradies der Freiheit und der Demokratie. In Wirklichkeit ist es eins der am wenigsten freien Länder auf der Welt. Wir haben keine Informationsfreiheit. Es ist egal, wer an der Macht ist, ob Konservative oder Labouristen. Wenn du dir die Namen derer, die wirklich das Land beherrschen, ansiehst, findest du die selben Namen, wie in der Geschichte Englands, sogar noch vor 500 Jahren. Diese Menschen werden von niemanden gewählt. Sie besuchen private Schulen wie Eaton oder Harrow, dann Oxford oder Cambridge. es ist wie ein Klub, eine Maffia reicher Leute. Es herrscht dort ein fürchterliches Klassensystem - die Arbeiterklasse, die mittlere Schicht und die Aristokratie. Vielleicht ist es so, weil wir nie eine Revolution hatten. Bei Euch verschwand der Adel erstmals nach der Schlacht auf der Bila Hora. Diese Scheisser aus der britischen Königsfamilie und ihre Verwandten sind immer noch hier und das ermüdet mich. Es ist besser in einer Republik zu leben.

Das ist eher der Grund England zu verlassen. Was bringt aber das Leben in Tschechien mit sich?

Die Tschechen sind viel offener und lässiger. Es passieren hier viele interessante Dinge. Und es ist hier nicht so groß wie in London, wo es nicht mehr möglich ist irgend etwas zu organisieren. Alle haben zwei oder drei Nebenjobs. Keiner hat Zeit. Wenn du eine gute Stelle hast, musst du 12-14 Stunden täglich arbeiten. Hier fängt es auch schon an. Aber für mich ist Tschechien immer noch eine kleine Insel mitten in Europa, wo es immer noch möglich ist, gewisse Freiheitsausdrücke zu finden. In ein paar Jahren, mit dem Eintritt in die EU wird sich das aber auch hier ändern. Es droht, das Tschechien wie andere Länder endet - superorganisiert und superkontrolliert. Jeder Apfel wird eine bestimmte Größe haben, jede Tomate wird die richtige Form haben und all dieser Blödsinn. Außerhalb Tschechiens ist es auch schwierig Rockmusiker und Schriftsteller zu sein. In England schaut schon die mittlere Schicht mit Despekt auf Bücher die von Rockmusikern geschrieben sind. Zum Beispiel auf Bücher von Nick Cave. Solcher Snobismus existiert hier nicht, was es ermöglicht, die einzelnen Genre zu wechseln. Mejla Hlavsa arbeitet mit Jan Pelc zusammen, Egon Bondy schrieb für Plastik People. Das ist inspirativ, ähnlich wie New York.

Was ziehst du vor? Das Schreiben oder die Musik?

Das kann ich nicht trennen. Manche Charaktere aus meinen Songs treten unter anderen Namen in meinen Büchern auf. Meine Musik und Bücher - das ist eine sich ineinanderschlingende Geschichte. Aber in erster Linie schreibe ich Lieder, ich bin Sänger und Gitarrist. Ich liebe es live zu spielen. Ich mache es seit ich elf war und ich will nicht aufhören solange ich hier bin. Ich bin nicht wie einige "Rockkünstler"... Vor zehn Jahren hatte Bára Basiková Rockpower. Die ist jetzt weg. Oder Lucie Bílá, die bei den Meetings von Václav Klaus auftretet, und andere Menschen aus der Gesellschaft. Sie benutzen die Musik um auf der Gesellschaftsleiter hochzuklettern. Das ist nicht mein Stil. Musik ist meine Leidenschaft. Genau so schreibe ich Bücher und Gedichte. Das erste Buch, das ich schrieb war "Junkie Love", es ist aus den Jahren 1986-89, über die letzten Jahre meiner Heroinsucht. Dann erschien mein "Green Hotel" und jetzt arbeite ich an einem neuen Buch, das von den fünf Jahren, die ich in New York verbrachte, von der großen Energie, die diese Stadt hat und über die ersten zwei Jahre bevor ich süchtig wurde, handelt.

Dank deiner Erfahrungen kannst du vergleichen. Wie sieht es mit den Drogen in Tschechien aus?

Was hier jetzt geschieht ist ein Drogenholocaust. Es ist schrecklich. Ich wußte, dass es passieren wird, als ich herkam. Nach der Revolution öffneten sich die Grenzen und es kam alles, auch viel Scheisse. Václav Klaus war sehr naiv. Er Plante eine vollkommene Marktliberalisierung, er wollte all das schmutzige Geld nicht sehen und realisierte auch alles, im Gegensatz zu Margaret Thatcher, die darüber in England nur Sprach. Genauso schrecklich ist auch die Antidrogenpolitik hier. Es werden Menschen für ein paar gezüchtete Marihuanapflanzen als Drogendealer eingesperrt und dabei weiß jeder Arzt über den Unterschied in der Schädlichkeit bei harten und weichen Drogen. Sogar in England, in einem so konservativen Land, werden Drogen in drei Kategorien, nach ihrer Schädlichkeit geteilt. Auf der anderen Seite experimentieren die Menschen hier, ohne zu wissen womit. In Extasies sind manchmal auch Heroin oder Kokain. Man weiß nie, wie und wer sie macht. Ich weiß, wovon ich rede, ich war 15 Jahre abhängig. Ich versuchte sechs oder sieben mal aufzuhören. Ich war in Krankenhäusern, auf Kuren, ich versuchte die Substitution, Psychotherapie, alles was nur möglich war. Ich kann nie wieder Heroin nehmen. Ich bin krank, der Körper erinnert sich an die Sucht. Es ist wie bei Alkoholikern, nach dem ersten Glas kann man nicht mehr aufhören.

Wie sehen deine Zukunftspläne aus?

Ich bleibe in Prag und will heiraten, obwohl es wegen der tschechischen und britischen Bürokratie eine lange und kostspielige Angelegenheit ist.







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